Wissen und Information
Der Arbeitsbereich B widmete sich der polizeilichen Sozialisation von der Ausbildung über die praktischen Trainings bis zum Berufsalltag. Er beschäftigte sich dabei mit den Ausgangsbedingungen, Herausforderungen und Problemstellungen des polizeilichen Alltags, die sich spezifisch durch die Pluralisierung der Gesellschaft abzeichnen. Unter der Überschrift „Wissen und Information“ wurde die Wechselwirkung von Ausbildungs- und Erfahrungswissen in seiner Relevanz für das professionelle Handeln der Beamt:innen im Umgang mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen untersucht. In vier Teilprojekten wurden sozial-kulturelle Kompetenzen als Teil des professionellen Selbstverständnisses in der Aus- und Fortbildung (Teilprojekt B1) und inwiefern dieses im polizeilichen Alltag zum Tragen kommt (Teilprojekt B2) untersucht. Die juristische Studie klärte die Anforderungen an die Informationspflichten der Beamt:innen in sprachlich und kulturell fremden Milieus (Teilprojekt B3). Darüber hinaus wurde die Alltagspraxis der polizeilichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Umgang mit Herkunftskategorien analysiert (Teilprojekt B4).
Teilprojekte
B1: Evaluation interkultureller Trainings
B2: Wissen, Information und polizeiliches Handeln
B3: Informationspflichten und Einsatzentscheidungen
B1: Evaluation interkultureller Trainings
Ziele und Relevanz
Vor dem Hintergrund veränderter sozial-kultureller Anforderungen an den Polizeiberuf haben die deutschen Polizeien auf die Kompetenzanforderung „kulturelle Sensibilität“ mit unterschiedlichen Konzepten in der Aus- und Fortbildung reagiert. Das Teilprojekt B1 nahm eine umfassende Bestandsaufnahme und Evaluation von Konzepten im Hinblick auf die interkulturelle Qualifizierung in den Polizeien des Bundes und der Länder vor. Es untersuchte, welche Konzepte zum polizeilichen Arbeitsbegriff der „Interkulturellen Kompetenz“ (IK) in den polizeilichen Bildungseinrichtungen der Bundesländer existent sind, wie IK in die Aus- und Fortbildung eingebaut wird, wie wirksam diese Maßnahmen sind und welche Entwicklungsbedarfe es gibt.
Perspektiven und Bezüge
Der NSU 2.0 Untersuchungsausschuss (2014) forderte sowohl die Etablierung von IK als einen festen Bestandteil der Polizeiausbildung als auch die Öffnung der Polizei gegenüber Menschen unterschiedlicher Herkunft für den Polizeiberuf. Entgegen dieser Forderung wird jedoch nicht spezifiziert wie IK genau umgesetzt werden soll. Dieses stellt(e) polizeiliche Bildungseinrichtungen vor eine Herausforderung.
Die Konzepte zur interkulturellen Qualifizierung innerhalb der Polizeien sind vom Föderalismus geprägt („Polizei ist Ländersache“) und damit sehr heterogen. Die Anforderungen an den Polizeiberuf werden komplexer und fordern somit gleichzeitig Lehrbeauftragte dazu auf, neue Inhalte in die Ausbildung von Polizist:innen, bei gleichbleibender Ausbildungsdauer, aufzunehmen. Die Frage danach, welche Themen für die Neuen weichen sollen, stellt sich ebenfalls als Herausforderung heraus, die noch immer in der Praxis diskutiert wird. Die bisherige Forschung im Bereich IK bemängelt, dass die Implementierung von IK zwar zu einer Selbstverständlichkeit geworden zu sein scheint, die Vermittlung und insbesondere die Umsetzung dieser Thematik aber immer noch von den Organisationen unterschätzt werde. Auch mangelt es in der Forschung an Erkenntnissen über die Qualität und Wirksamkeit von IK-Maßnahmen. Daher ist eine Evaluation interkultureller Qualifizierung überfällig. Das Teilprojekt nutzte sozialpsychologische Ansätze sowie die Vorurteilsforschung, um an diesem Forschungsbedarf anzusetzen.
Methoden und Vorgehensweise
Im ersten Schritt erfolgte eine inhaltsanalytische Bestandsaufnahme bestehender Konzepte der IK in Aus- und Fortbildung. Angestrebt ist, dass hier die Informationen aus allen deutschen Polizeien eingehen. Im nächsten Schritt erfolgte eine Evaluation, die sich auf wenige Polizeien beschränkt, und dort in der Tiefe Wissen über interkulturelle Qualifizierungsmaßnahmen generiert. Dazu gehörten teilnehmende Beobachtungen der Lehrmaßnahmen sowie Interviews mit Verantwortlichen, Lehrpersonen und Teilnehmer:innen. Daneben wurden quantitativ mittels Fragebogenerhebung bei den Teilnehmenden vor und nach den Lehrmaßnahmen Erwartungen, Reaktionen und Wirksamkeit der Lehrveranstaltungen untersucht.
Der Mix aus qualitativen und quantitativen Methoden der Sozialforschung zielte auf eine ganzheitliche Sicht auf die Konzepte, ihre Umsetzung, ihre Wirkungen sowie Kontextbedingungen zu erreichen. Auf der Grundlage dieser Evaluation wurden – ergänzend zur fortlaufenden Rückmeldung – Vorschläge zur Verbesserung des Trainings gemacht. Zudem wurde eine Kartierung von bestehenden Netzwerken, Arbeitsgruppen und Expert:innen, die das Thema Diversität und IK in der Polizei bearbeiten, erstellt.
Ergebnisse und Empfehlungen
Im Laufe des Forschungsprojektes erwies sich die polizeiliche Heterogenität, die auf dem für die Polizeien typischen Föderalismus basiert, als Herausforderung für den Ein- aber auch den Ausbau von ‚Interkultureller Kompetenz‘ in der polizeilichen Aus- und Fortbildung. Das Fehlen von Erfahrung im Umgang mit dem Thema ‚IK‘, auf die die Polizeien zurückgreifen konnten, stellte sich als eine weitere Hürde heraus. Insbesondere, da der Polizeiberuf ein Erfahrungsberuf ist, der sowohl auf praxis- als auch anwendungsbasierten Wissen beruht. ‚IK‘ erweist sich, als komplexes Thema, nicht nur in der Erschließung, sondern auch in der Umsetzung aus herausfordernd. In der politischen Forderung des NSU-Untersuchungsauschusses von 2013 wird weder festgehalten, wie ‚IK‘ per Definition zu verstehen ist, noch wie die Umsetzung dieses, für die Polizeien neuen Themas aussehen soll. Ergebnis dieser Herausforderung ist ein diverses Bild davon, wie ‚IK‘ in den unterschiedlichen polizeilichen Bildungseinrichtungen von Bund und Ländern eingebaut und seit der politischen Forderung umgesetzt worden ist.
Die Parameter, zum Beispiel: wie lange ein ‚IK‘ –Seminar stattfindet, wie oft es angeboten, in welchem Ausbildungsabschnitt es angeboten wird, wie viele Unterrichtseinheiten zur Verfügung stehen, welche Themen wie intensiv behandelt werden und wie (kulturspezifisch oder kulturübergreifend, welche Definitionen und Modelle Verwendung finden, welche didaktischen Methoden und Übungen angewandt werden u.v.m.) oder auch wie das Thema durch Dozent:innen (solo- oder Teamteaching, homogene oder heterogene Teams) gelehrt wird und ob es sich bei den Lehrkräften um ausgebildete ‚IK‘-Trainer:innen oder Autodidakten handelt, sind sehr unterschiedlich.
Kurz zusammengefasst kann man an dieser Stelle festhalten, dass sich die Polizeien in Bezug auf das Thema ‚IK‘ noch immer in einem Entwicklungsprozess befinden. Es lassen sich folgende Handlungsempfehlungen aufstellen: IK‘ wird zeitlich limitiert in einem sogenannten Container angeboten. Ein solches Vorgehen erweist sich als nicht nachhaltig. Es ist fraglich, ob dadurch anhaltende Lernerfolge, ein Wissenszugewinn und die, von der Politik gewünschten, Veränderungen in der Organisation Polizei umgesetzt werden können.
An dieser Stelle wird angeregt, ‚IK‘ nach dem Vorgehen eines Mainstreamings umfassend in die Aus- und Fortbildung und den Berufsalltag einzubauen. Dieses kann durch den Einsatz von Reflexionsseminaren im Allgemeinen, aber auch durch Seminare umgesetzt werden, die praktische Ausbildungsabschnitte begleiten. Reflexionsseminaren kommen im Polizeiberuf ein wichtiger Stellenwert zu, um dazu beizutragen ggfs. negatives Erlebtes sowie Vorurteile, Stereotype, negatives Erfahrungswissen, unerwünschte Verhaltensweise zu bekämpfen, Stress abzubauen und die Beamt:innen bei den Herausforderungen des Dienstalltags zu unterstützen. Eine Zusammenarbeit mit ‚IK‘-Trainer:innen unterschiedlicher pol. Bildungseinrichtungen sorgt in diesem Rahmen für neue Perspektiven und Ansätze (in der Vermittlung). Auch zeigt es die Varianz von bestehenden und zum Einsatz kommenden didaktischen Methoden auf, sodass es auch zu einer Weiterentwicklung eigener Seminare kommen kann.
- Der Großteil der derzeit angebotenen ‚IK‘-Seminare setzt keine Prüfungsleistungen voraus; durch den Einbau dieses Themas in Prüfungen, kann ein Mainstreaming ausgebaut werden.
- Des Weiteren sollten den Beamt:innen die Möglichkeit gegeben werden, an aufeinander aufbauenden Vertiefungs- und Spezialisierungsseminaren in der Ausbildung (Wahlpflicht) und in der Fortbildung, teilzunehmen.
- Sprachkompetenzen und deren Ausbau in Form von Seminarangeboten können ebenfalls zur Reduktion von Stress in Dienstsituationen führen und Handlungssicherheit geben.
- Fortbildungsseminare sollten vermehrt kulturübergreifend angeboten werden.
- Auch sollte mehr als bisher auf die Themen Rassismus, Stereotype, Vorurteile und Racial Profiling eingegangen werden, und den Beamt:innen genügend Raum zur Reflexion dieser komplexen Themen geben.
- Supervision und die Möglichkeit Einsätze nachzusprechen, erweisen sich als ein wichtiges Instrument, dass mehr zum Einsatz kommen sollte, um den Beamt:innen Zeit und Raum zur (Selbst)Reflexion zu ermöglichen.
- Das Angebot von Dialogformaten zwischen Bürger:innen und Polizeien, wie bspw. Diversitäts- und Demokratietage, können dazu beitragen, das gegenseitige Vertrauen zwischen Gesellschaft und der Institution Polizei erfolgversprechend zu fördern und ggfs. auch zum Abbau von möglich bestehenden Vorurteilen beizutragen.
- Anstrebenswert ist eine Weiterführung der Evaluation von ‚IK‘-Seminaren, um einerseits die Lernerfolge, den Zugewinn des Wissens der Teilnehmer:innen und auch die Erfolge der ‚IK‘-Seminare im Fokus zu behalten. Der Einsatz von Fragebögen, wie in diesem Projekt, eignet sich, um Veränderungen feststellen zu können.
- Um Erlerntes im Beruf ausprobieren und anwenden zu können, sollte angeregt werden mehrtätige verpflichtende und regelmäßig wiederkehrende Veranstaltungen anzubieten, die zudem zertifiziert sind. Dadurch lässt sich ein Enabling-Ansatz in den Polizeien anwenden, die alle Mitarbeiter:innen erreichen und alle Hierarchieebenen durchfließen soll. So wird es möglich eine Multiplikatorenbasis in den Polizeien auf dem Prinzip des Train-the-Trainer-Ansatzes zu erschaffen, sodass nur die polizeiliche Basis, sondern auch die Spitze und der Mittelbasis erreicht wird.
Das in dieser Handlungsempfehlung angestrebte Mainstreaming soll dazu beitragen, dass das Thema ‚IK‘ allgegenwärtig wird und vermehrt in den polizeilichen Alltag einfließen kann. Auch wirkt sich das Mainstreaming positiv auf die weitere Öffnung der Polizei aus und kann einen Beitrag zur Prävention und Bekämpfung von rassistischen und diskriminierenden Denk- und Handlungsweisen beitragen.
Hier finden Sie die Publikationsliste B1 und das Ergebnisposter der Abschlusskonferenz.
Verantwortliche Mitarbeiterinnen: Daniela Gutschmidt, Kristin Weber
B2: Wissen, Information und polizeiliches Handeln
Ziele und Relevanz
Das Erkenntnisinteresse für das Teilprojekt B2 lag auf dem impliziten Wissen als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage in der polizeilichen Alltagspraxis sowie auf der Vermittlung von Erfahrungswissen in der fachpraktischen Ausbildung (polizeilichen Einsatztrainings). Durch eine Vielzahl unterschiedlicher Kulturen, Nationalitäten, Lebensentwürfe und Lebensstile sind Polizistinnen und Polizisten in ihrem Berufsalltag mit heterogenen Einsatzsituationen, sprachlichen und handlungspraktischen Herausforderungen konfrontiert. Dadurch erlangen sozial-kulturelle Kompetenzen für Polizist:innen im Dienst eine immense Bedeutung.
Folgende Forschungsfragen wurden dem Teilprojekt zu Grunde gelegt:
1. Wie hält erfahrungsbasiertes Wissen Einzug in die handlungspraktische Ausbildung der Schutzpolizei? Welche Annahme über den späteren Berufsalltag werden dabei implizit und handlungsbasiert vermittelt?
2. Wie entsteht erfahrungsbasiertes (implizites) Wissen innerhalb des Berufsalltags der Schutzpolizei und welche Relevanzen und Bedeutungen haben diese Wissensbestände für die Einsatzbewältigung im Kontakt mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen?
Perspektiven und Bezüge
Nicht erst seit der sich weltweit aufspannenden Diskussion um Racial Profiling oder rechte Netzwerke innerhalb der Polizei wird diskutiert, wie selektives polizeiliches Handeln entsteht. Daran schließt die Frage an, wie durch Aus- und Fortbildung solche Praktiken verhindert werden können. Ein immer wieder diskutierter Erklärungsansatz für die Entstehung selektiver Handlungsweisen, stellt der berufliche Alltag und daraus gewonnenes Erfahrungswissen sowie dienstliche Belastungen dar. Demnach führt ein sich wiederholender und problematisch verlaufender Kontakt zu Minderheiten zu erfahrungsbasierten Wissensbeständen, die in neuen Situationen handlungsleitend sein können. So verweist die bisherige Forschung darauf, dass gerade Erfahrungswissen und Praxisroutinen Sicherheit stiften können, mitunter aber auch stereotype Wahrnehmungs- und Handlungsmuster bedingen. Das Forschungsvorhaben ermöglicht es, den Begriff des Erfahrungswissens als Kernelement polizeilichen Handelns empirisch fundiert zu konzeptualisieren. Hierbei wird theoretisch eine praxeologische Perspektive eingenommen und danach gefragt, wie erfahrungsbasierte Wissensbestände im konkreten praktischen Handeln entstehen, vermittelt und legitimiert werden und wie sich dieses Wissen in institutionalisierte Ausbildungspraktiken hineinträgt. Gerade durch den Beobachtungsschwerpunkt auf die fachpraktische Ausbildung sowie der polizeilichen Alltagspraxis zeigt sich, wie Polizist:innen in einen konjunktiven Erfahrungsraum sozialisiert werden. Dabei spielt das Verhältnis das „theoretische“ Wissen der Ausbildung zu den Anforderungen der Alltagspraxis und dem Erleben der späteren beruflichen Umwelt eine zentrale Rolle.
Methoden und Vorgehensweise
Methodisch folgte das Forschungsvorhaben einem ethnographischen Forschungsansatz. Ziel war es, Ordnungskriterien von Praktiken und die Entstehung von Wissen in alltagsweltlichen Bezügen und Situationen aus Sicht der handelnden Akteur:innen zu rekonstruieren. Aus diesem Grund diente als Haupterhebungsinstrument die teilnehmende Beobachtung. Konkret wurden dafür Dienstgruppen des Wach- und Wechseldienstes der Schutzpolizei sowie in den Einsatztrainings der Ausbildung an unterschiedlichen Standorten in Deutschland begleitet. Ebenso wurden Praktika während der Ausbildung in etwaigen Dienststellen in das Beobachtungssetting aufgenommen. Die teilnehmenden Beobachtungen wurden durch Interviews und im Kontext der Ausbildung, durch Dokumentenanalysen ergänzt.
Ergebnisse und Empfehlungen
Welche Rolle spielt Erfahrungswissen bei der Bewältigung von Einsätzen und welchen Einfluss hat dieses Wissen auf die Interaktion mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen? Im Zuge der ethnographischen Forschung zeigte sich, dass Erfahrungswissen vor allem als kollektiver Wahrnehmungs- und Interpretationsrahmen polizeiliches Handeln beeinflusst. Dieses wiederum basiert vor allem auf Erzählungen und Sinnzuschreibungen der unmittelbaren Bezugsgruppe und ist durch den Sozialraum des jeweiligen Polizeireviers geprägt. Sie dienen als Klassifikations- und Orientierungsfolie, die die Bevölkerung des Reviers entlang sozialer Differenzmerkmale ordnet und erlebte Handlungsschwierigkeiten in Arbeitskategorien übersetzt.
Im konkreten Einsatzhandeln dominieren jedoch rechtliche Kategorisierungsoptionen. Die Benachteiligung aufgrund zugeschriebener Persönlichkeitsmerkmale scheint stark von situativen Faktoren abhängig zu sein und hat sich in der Untersuchung, wenn auch nur in Nuancen, gezeigt. Dabei können unterschiedliche Merkmale und Merkmalskombinationen relevant werden und sich auf das polizeiliche Handeln auswirken. Insgesamt zeigte sich, dass der zugeschriebene soziale Status/die soziale Herkunft das größte Diskriminierungsrisiko birgt bzw. phänotypische oder ethnische Kategorisierungen relevant werden lässt. Dies wiederum scheint abhängig zu sein vom Ort, dem Zeitpunkt, dem Grad der Öffentlichkeit einer Maßnahme sowie von konflikthaften Interaktionsverläufen. Hinsichtlich der Ausbildung/des Einsatztrainings zeigt sich, dass die Sozialisation im Polizeiberuf dazu beiträgt, die soziale Distanz zu marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu erhöhen.
Hier finden Sie die Publikationsliste B2 und das Ergebnisposter der Abschlusskonferenz.
Verantwortlicher Mitarbeiter: David Czudnochowski
B3: Informationspflichten und Einsatzentscheidungen
Ziele und Relevanz
Im Feld der Gefahrenabwehr gilt Kommunikation nach wie vor als das Einsatzmittel der Polizei. Im Kontext einer pluralisierten und damit zunehmend multilingualen Gesellschaft, beschäftigte sich das Teilprojekt B3 deshalb mit Informations- und Kommunikationspflichten, die auch gegenüber nicht Deutsch sprechenden Personen zu erfüllen sind. Im Zentrum der Betrachtung stand § 23 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), welcher Deutsch als Amtssprache festlegt. Sprachliche Barrieren sind dennoch alltägliche Erfahrungen der Polizei. Dies erschwert nicht nur die Aufgabenerfüllung, sondern kann auch Rechte der verfahrensbeteiligten Personen verletzen.
Perspektiven und Bezüge
Erweiterte Sprachpflichten der Polizei werden einerseits als Beitrag zu interkultureller Kompetenz verstanden, andererseits werden Entscheidungen, ob und wann von Deutsch abgewichen wird, auch auf der Basis impliziten Wissens getroffen. Das Teilprojekt B3 nimmt die herkömmliche Anwendung des § 23 VwVfG sowie Rechtsfiguren wie das Sprachrisiko kritisch in den Blick und berücksichtigt ferner, dass sich die Dogmatik zu Art. 3 des Grundgesetzes in den letzten Jahren entwickelt hat. Auch die geschichtliche Einordnung der Amtssprache und die bisher unbehandelte Entstehungsgeschichte des § 23 VwVfG werden eingebunden.
Methoden und Vorgehensweise
Den methodischen Kern bildete eine rechtsdogmatische Analyse, die von rechtshistorischen und rechtstatsächlichen Ausblicken flankiert wird.
Ergebnisse und Empfehlungen
Deutsch als Amtssprache wurde 1973 eingeführt und trat 1977 in Kraft. Die Gesetzesbegründung verweist für Deutsch als Amtssprache auf die Sprachprobleme deutscher Behörden mit sog. Gastarbeiter:innen. Es handelt sich damit um eine gruppenbezogene Regelung, die auch als „lex Gastarbeiter“ bezeichnet werden kann. Rechtstatsächlich bestätigt sich die Annahme, dass Verständigungsprobleme zwischen Polizei und Bürger:innen allgegenwärtig sind und die fehlende Möglichkeit sich zu verständigen das Risiko des Einsatzes von unmittelbarem Zwang erhöht. Die gefahrenabwehrrechtlich tätige Polizei übersetzt deshalb regelmäßig unter Zuhilfenahme verschiedener Methoden und weicht damit vom Grundsatz der deutschen Amtssprache ab. Ob und Umfang der Übersetzungen hängen dabei vom polizeilichen Gegenüber und den beiderseitig vorhandenen Sprachkenntnissen ab. Die rechtsdogmatische Forschung hat ergeben, dass das Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit aus Art. 18 Abs. 1 AEUV geeignet ist um Übersetzungspflichten zu begründen, allerdings nur für EU-Bürger:innen, die in Deutschland leben. Auf nationaler Ebene handelt es sich um einen Eingriff in das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf rechtliches Gehör und das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Ob diese Rechte auch verletzt werden, gilt es noch zu erforschen. Deutsch als Amtssprache stellt auch einen Eingriff in die Diskriminierungskategorisierung Sprache aus Art. 3 Abs. 3 GG dar, Eingriffe dürften aber gerechtfertigt sein.
Letztlich gilt es § 23 Abs. 1 VwVfG verfassungs- und unionskonform auszulegen und die Norm als Amtssprachengrundsatz zu verstehen. Eine Auslegung als Ermessensnorm gebietet im Regelfall eine Übersetzung bei gleichzeitiger Möglichkeit in besonderen Situationen, wie Gefahr in Verzug oder im Sofortvollzug, eine effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten. Die korrekte Ausübung des Ermessens wäre durch Verwaltungsgerichte überprüfbar. Das macht polizeiliches Handeln kontrollierbar, schützt vor willkürlichem Umgang mit Übersetzungspflichten und schafft Rechtssicherheit.
Hier finden Sie die Publikationsliste B3 und das Ergebnisposter der Abschlusskonferenz.
Verantwortliche Mitarbeiterin: Sarah Praunsmändel
B4: Differenzierte Darstellungen? Die polizeiliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Umgang mit Herkunftskategorien
Ziele und Relevanz
In dem Teilprojekt B4 wurden die Sprachregelungen der polizeilichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (PÖA) hinsichtlich des Umgangs mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der polizeilichen PÖA und ihrer Funktion bei der Herstellung von Legitimität in einer offenen Gesellschaft analysiert. Dafür wurde die polizeiliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auch im Zusammenspiel mit den klassischen Medien sowie in ihrer Einbettung und Nutzung sozialer Medien in den Blick genommen. Zentral war dabei die Frage wie die Polizei in ihrem Sprechen nach außen, gesellschaftliche Entwicklungen wie z.B. den Schutz von Minderheiten vor Diskriminierung als auch den omnipräsenten Wunsch nach gefühlter Sicherheit antizipiert. Ziel war es den Sachstand und die gegenwärtigen Sprachregelungen der Herkunftsnennung in den einzelnen Bundesländern zusammenzutragen und damit einen Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Pressestellen zu ermöglichen. Gerade für die Praxis sollte dabei eine Selbstreflexion über das alltägliche Handeln sowie den Routinen im Umgang mit Herkunftskategorien angeregt werden. So gewährleistete das Teilprojekt durch eine regelmäßige Praxisanbindung und die interne Ergebnispräsentation, Erkenntnisse für die Polizei nutzbar zu machen.
Perspektiven und Bezüge
Die Veränderung des Pressekodes 12.1 des Deutschen Presserats zur Berichterstattung über Straftaten und der Zugehörigkeit zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten hat für den Alltag der Polizei und des Journalismus kaum Konkretisierung gebracht. Einzelne Kriminalfälle brachten darüber hinaus die polizeiliche Pressearbeit sowie ihre Sprachregelungen im Umgang mit der Nennung von Herkunft vermehrt in den öffentlichen Fokus. Das Teilprojekt fragt vor diesem Hintergrund nach der Funktion und den Herausforderungen in der Außenkommunikation für die Polizei, den Abwägungen, die der Nennung der Herkunft zu Grunde gelegt werden sowie den Nebenfolgen. Insbesondere die Binnenperspektive und damit die entsprechenden Handlungslogiken im Themenbereich der Herkunftsnennung der polizeilichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sind weitestgehend unerforscht.
Methoden und Vorgehensweise
Zur Beantwortung der Fragestellungen wurde zunächst durch eine Dokumentenanalyse der Sachstand der bundesweit unterschiedlichen rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen in Form von Leitlinien und Erlassen zur Nennung der Herkunft von Tatverdächtigen erhoben. Durch qualitative Experten-Interviews mit Verantwortlichen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizeien ausgewählter Polizeipräsidien wurden darüber hinaus die handlungspraktischen Herausforderungen, Abwägungen sowie das handlungsleitende Selbstverständnis untersucht. Geplant wurde eine Befragung aller Bundesländer. Daneben wurde mittels Diskursanalyse eines ausgewählten Kriminalfalls mit massenmedialer Rezeption eine ganzheitliche Betrachtung des Spannungsfeldes „Gesellschaft – Medien – Polizei“ angestrebt.
Ergebnisse und Empfehlungen
Wie agiert die Polizei in ihrer Außenkommunikation in einer pluralisierten Gesellschaft? Welchen Stellenwert haben Herkunftskategorien in der Öffentlichkeitsarbeit? Die Analyse einschlägiger Richtlinien und ministerieller Erlasse ergab bundesweit sehr heterogene Regelungen zum Umgang mit Herkunftskategorien. Während einige Bundesländer die Nationalität von Tatverdächtigen in allen Veröffentlichungen nennen, halten andere an einer Einzelfallregelung fest. In Anlehnung an den Deutschen Pressekodex wird die Nationalität nur dann genannt, wenn ein öffentliches Interesse erkennbar ist oder die Nationalität in einem sachlichen Zusammenhang mit der Tat steht. In den Interviews zeigte sich, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten die Einzelfallprüfung als einzige Möglichkeit ansieht, eine mögliche Pauschalisierung zu vermeiden. Zu problematisieren ist hierbei, dass die Begründung eines Sachbezuges/öffentlichen Interesses meist im Ermessen der Pressesprecher:innen liegt. Die Möglichkeit stereotyper Entscheidungsgrundlagen bleibt somit bestehen.
Die überwiegende Mehrheit der Befragten verband die Herkunftskategorien mit der Staatsangehörigkeit/Nationalität. Dieser wurde ein neutraler Informationswert zugeschrieben, da sie objektiv nachprüfbar sei und im Sinne des Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebots genannt werden könne. Die Assoziationsdynamiken, die sich in der öffentlichen Diskussion mit der Nennung der Staatsangehörigkeit verbinden können, wurden in den Interviews zumeist in die Verantwortung der Medien verlagert. In der Selbstwahrnehmung der Befragten wird die Herkunftsnennung weniger als pauschalisierendes Problem gegenüber Minderheiten, sondern vielmehr als generelles Reputationsproblem der Organisation wahrgenommen. So sehen sich die Befragten in der Öffentlichkeit häufig ungerechtfertigt kritisiert und einem Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit ausgesetzt. Die Befragten verweisen auf eine sensible Sprachpraxis, die mehr die Reputation der Organisation als den Schutz vor Pauschalisierungen im Blick hat. In der Folge wird die Art und Weise der Kommunikation wichtiger als der Inhalt. Dies ist insofern problematisch, als damit zum Teil legitime Kritik an der Polizei abgewehrt wird.Insgesamt verweist die Studie auf ein zentrales Bezugsproblem: Die Polizei muss in ihrer Außenkommunikation Legitimität und Vertrauen stärken und damit auf polizeikritische Debatten reagieren. Gleichzeitig hat sie eine Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Gerade vor dem Hintergrund pauschalisierender und diskriminierender Diskurse, die sich an Herkunftskategorien entzünden, erscheint ein Rückzug auf die Staatsangehörigkeit als neutrale Information nicht ausreichend. Selbst die Nichterwähnung kann die Organisation in Bedrängnis bringen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Begründungszusammenhänge und Kontextinformationen für die Nennung von Herkunftskategorien zu liefern. Hier scheint die Einzelfallprüfung die praktikabelste Lösung zu sein, die aber konkreter definiert werden muss als der Verweis auf ein öffentliches Interesse an der Tat.
Hier finden Sie die Publikationsliste B4 und das Ergebnisposter der Abschlusskonferenz.
Verantwortliche Mitarbeiter:innen: Franziska Ludewig, David Czudnochowski